Cinema Paradiso – Das Interview mit Bürgermeister Rolf-Ulrich Müller bei Radio Märchenland

zurück: Bad Karlshafen und Helmarshausen im Jahr 2020


»Heute bei uns zu Gast bei Radio Märchenland ist der Bürgermeister der Stadt Bad Karlshafen, Rolf-Ullrich Müller. Er wird uns berichten über die Pläne der Stadt, das Areal des ehemaligen Mineralfreibades zu einem Open-Air-Kino zu machen. Guten Abend, Herr Müller. Es freut uns, dass Sie heute Abend den Weg zu uns gefunden haben.«

»Guten Abend, Herr Werner. Ich freue mich auch, heute bei Ihnen sein zu dürfen.«

»Gut, Herr Bürgermeister, gehen wir gleich ans Eingemachte.«

»Bitte.«

»Sie haben in den ersten Jahren Ihrer Amtszeit schon ziemlich viel Unruhe in die Stadt gebracht mit Ihren Projekten. Haben Sie nicht manchmal Angst vor sich selbst?«

»Die Hörer können mein Lächeln leider nicht sehen. Nein, Angst habe ich nicht. Vielmehr ist es doch so, dass man die Lage der Stadt nur durch beherztes Anpacken verbessern konnte und zukünftig kann. Ich will mich da nicht selber loben, denn nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Bad Karlshafen haben wir in den letzten drei Jahren das alles auf die Beine stellen können.«

»Haben Sie nicht von Ihrem Vorgänger eine ziemlich aussichtslose Situation übernommen?«

»Das möchte ich so nicht sagen, und das aus zweierlei Gründen: Erstens hatte die Stadt 2016 einen Schuldenberg von 42 Millionen Euro und in Sachen Schulden sind wir immer noch nicht aus dem Schneider. Zweitens ist es richtig, dass ich in der Stadt eine ziemlich gespaltene Bürgerschaft vorgefunden habe. Sowohl zwischen Alteingesessenen und Neubürgern, Jung und Alt, aber auch zwischen Karlshäfern und Helmarshäusern. Aber nun stehen alle Ampeln auf Grün. Gemeinsam mit der Gemeindevertretung, der Bad Karlshafen GmbH, den Vereinen sowie weiteren Initiativen ist es uns gelungen, mit dem Bürgerverein eine Institution zu schaffen, in der alle ihre Ideen einbringen können, vom Schlosserlehrling bis zum Bürgermeister.«

»Und das funktioniert?«

»Ja.«

»Sie kommen ja auch nicht aus dem Ort, Sie sind also quasi ein Neubürger?«

»Wenn Sie so wollen – ja.«

»Geht es noch etwas ausführlicher?«

»Warum drei der Parteien an mich als gemeinsamen Bürgermeisterkandidaten herangetreten sind, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Da gibt es noch einige tiefe Wunden.«
»Gut, aber so einfach möchte ich Sie nicht aus der Frage entlassen. Sie kommen aus Fuldabrück?«

»Ja, das ist richtig. Ich habe mich als parteiloser Kandidat auf den Posten des Bürgermeisters beworben und die Bürgerinnen und Bürger hielten mich für den geeigneten Mann.«

»Tun sie das denn immer noch, die Bürger, meine ich?«

»Wir haben kein eigenes Wahlforschungsinstitut vor Ort, doch denke ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind und dass mein Kurs von der überwiegenden Zahl der Karlshäfer und Helmarshäuser getragen wird. Allen kann man es natürlich nie recht machen.«

»Kommen wir also nun zu Ihrem nächsten großen Projekt, einem Open-Air-Kino. Erzählen Sie mal!«

»Zunächst das Formale: Hier im Ort hat sich die Bürgerinitiative ›Solekino‹ gebildet, die eine Nutzung des ehemaligen Schwimmbadareals erreichen wollte. Diese Menschen haben viel diskutiert, sich Expertise eingeholt und letztlich einen vernünftigen Vorschlag gemacht. Ihr großes Verdienst war dabei in meinen Augen, dass sie die zukünftige Nutzung des Schwimmbadgeländes mit einem bereits vorhandenen Vorschlag kombiniert haben. Im ›Stadtmarketingkonzept‹ wurde unabhängig davon vor einigen Jahren vorgeschlagen, hier im Ort ein Freilichtkino zu errichten.«

»Aber wenn ich Sie vorhin im Vorgespräch richtig verstanden habe, sollte das Freilichtkino doch eigentlich am Hafen eingerichtet werden.«

»Ja, das ist richtig. Doch wir haben schon so viele Maßnahmen rund um das Hafenareal umgesetzt, da hielten wir es für wichtig, dass auch andere Bereiche des Ortes attraktiver gestaltet werden. Denken Sie hier nur an die unmittelbare Nähe zum Campingplatz.«

»Bevor wir dazu kommen, möchte ich noch einmal einen Schritt zurückgehen: Waren Sie nicht ursprünglich gegen die Idee eines Freilichtkinos auf dem ehemaligen Freibadgelände?«

»Ich wünschte, die Menschen könnten auch jetzt wieder mein Lächeln sehen. Aber ja, es ist richtig. Als erste Reaktion habe ich negativ reagiert. Doch bevor Sie mich nun einen ›Umfaller‹ nennen, nach dem ersten Gespräch mit der Bürgerinitiative ›Solekino‹ war ich von der Idee begeistert. Den Gemeindevertretern ging es ähnlich. Es war sogar so, dass sich viele darüber geärgert haben, dass sie nicht selbst auf diese tolle Idee gekommen sind.«

»Warum haben Sie, wenn Sie alle so von der Idee überzeugt waren, auch noch einmal die Bürgerinnen und Bürger an die Wahlurne gebeten?«

»Uns waren die Erfahrungen bei den Entscheidungsprozessen um die Hafenöffnung wirklich eine Lehre. Nachdem die Gemeindevertreter quasi einstimmig für das Freilichtkino gestimmt hatten, wollten wir uns zusätzlich auch im Vorhinein die Unterstützung der Bürgerschaft einholen. Ein Novum in dieser Stadt, das hat bisher noch keiner gemacht.«

»Damit haben Sie sicher vielen Kritikern den Wind aus den Segeln genommen?«

»Ich denke ja. Wir haben sie von Anfang an mitgenommen. Das Ergebnis war dann ja auch eindeutig, siebzig Prozent waren für die Maßnahme.«

»Gut, Sie haben siebzig Prozent Zustimmung der Bürger, aber wie sieht es mit den Anliegern des Areals aus – den Bewohnern und vor allem dem Campingplatz?«

»Wir kommen nachher noch auf die innovative Technik, die wir hier einzusetzen gedenken, daher lassen Sie uns das Problem Lärm zunächst ausklammern. Natürlich, Sie haben Recht: Es gibt Verkehr, Unruhe, Lärm und Abfall – alles Punkte, die es zu bedenken gilt. Auf der anderen Seite profitiert der Campingplatz von einer Attraktion direkt vor seiner Haustür, die Stadt ist um einen Anziehungspunkt reicher – und vor allem sprechen wir nur von den Wochenenden in einigen Monaten des Jahres. Da es sich ja um ein Freiluftkino handelt, sind wir stark wetterabhängig und können so gesehen nur die Zeit nutzen, in der früher auch das Mineralfreibad geöffnet hatte.«

»Ist das nicht ein bisschen viel Aufwand für ein paar Abende Filmspaß?«

»Das mag vielleicht so aussehen. Wir planen Sitzmöglichkeiten für zirka 200 Gäste. Aber ein ›Amphitheater‹ dieser Größe ist natürlich nicht nur auf den Kinobetrieb festgelegt, beispielsweise könnte eine Theater-AG der Marie-Durand-Schule diesen Platz für ihre Proben nutzen. Weiterhin können dort Theaterstücke aufgeführt werden und Konzerte stattfinden. Vielleicht könnten sich auch an einem ‚Tag der Vereine‘ diese dort vorstellen und neue Mitglieder werben. Ich appelliere jetzt an alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt, die Chancen dieses neuen Kulturstandortes für den Ort zu sehen, nicht nur die Risiken. Betrachten wir es doch einmal so: Das Gelände war früher – sag ich jetzt mal – das zweite Herz des Ortes. Die Menschen liebten es, hierher zu kommen, auf der Wiese zu liegen und vom Dreimeterturm zu springen. Nun gibt es die Therme – gut so! Doch hat man lange die Nutzung des Geländes vernachlässigt. Schauen Sie mal: Was soll den ein deutscher oder niederländischer Tourist denken, wenn er beispielsweise vom Hugenottenturm oder dem Sängertempel auf das rechte Weserufer schaut? Ein vergammeltes Schwimmbad möchte er bestimmt nicht sehen.«

»Gut, bevor wir nun zur Finanzierung des Freilichtkinos kommen, ein Wort zur Lärmbelästigung der Nachbarn: Wie haben die Anwohner und der Besitzer des Campingplatzes die Initiative aufgenommen?«

»Die Leute von ›Solekino‹ haben sich einigen Fachverstand erarbeitet, natürlich haben sie sich auch schlaugemacht über die technischen Möglichkeiten. Ein normales Kino hat eine zentrale Beschallung, je nach Kinoform frontal oder surround. Damit dort auch der Letzte hört, wie das eiskalte Wasser in die untergehende Titanic läuft, muss es vor allem eines geben: einen hohen Lautstärkepegel. Wir wollen nun versuchen, einen anderen Weg zu gehen: Natürlich könnte man jedem Zuschauer einen Kopfhörer geben, aber das ist nicht nur teuer und mit großem Aufwand verbunden, sondern auch unhygienisch. Daher haben wir eine Lösung im Auge, mit der dezentrale Lautsprecher den Zuschauerbereich gleichmäßig beschallen. Das hätte den Vorteil, dass wir die einzelnen Lautsprecher weniger laut einstellen müssten.«

»Aber ist das nicht ebenfalls viel zu teuer?«

»Natürlich ist eine Frontalbeschallung billiger, keine Frage. Doch gibt es bereits Beispiele innovativer Beschallungstechnik, die wir auch gerne nutzen möchten. Dazu wird es im ›Zuschauerraum‹ verteilt Säulen mit Lautsprecherboxen geben. Das funktioniert dann ungefähr so wie das Surroundsystem zu Hause. Von der Qualität her sollte das eigentlich noch besser gehen als eine Frontalbeschallung.«

»Gut, sie verbauen eine innovative und teure Beschallungstechnik. Haben Sie da keine Angst vor Diebstählen, wie funktioniert das in kalten Wintern und letztlich, was machen Sie bei Hochwasser?«

»Das ist ja das tolle an diesem neuen System: Es besteht aus acht bis zwölf Lautsprechersäulen, die man einfach entriegeln und wieder ausstecken kann – im Prinzip genau so wie eine Dockingstation beim Laptop. Die notwendigen Kabel sind im Boden fest verlegt und in Zeiten der Nichtnutzung vom System getrennt. Die Steuerung des Ganzen erfolgt übrigens durch die ehemalige Schwimmmeisterkabine. Hochwasser ist für das ganze Areal kein wesentliches Problem, da die beiden ehemaligen Schwimmbecken auf einer höheren Ebene liegen. Gibt es hier Hochwasser, so haben wir sicher einen Überschwemmungsgrad in der Stadt wie anno 1965. Ich war sehr erschrocken, als ich diese in der Stadt verteilten Marken das erste Mal bewusst wahrgenommen habe.«

»Und Diebstahl?«

»Ja, natürlich. Ich wollte das Problem nicht wegschwafeln. In den Wintermonaten wird das Equipment natürlich sicher eingelagert werden. Vielleicht ergeben sich ja sogar noch weitere Nutzungsmöglichkeiten bei anderen Anlässen.«

»Die da wären?«

»Konzerte oder Partys auf Plätzen oder in großen Hallen. Hier denke ich beispielsweise an den Hafenplatz oder auch die Schützenhalle in Helmarshausen.«

»Kommen wir aber doch noch einmal zur sicheren Lagerung in den Sommermonaten.«

»Wir werden natürlich einen einbruchsicheren Platz vor Ort vorhalten, ich werde hier natürlich nicht verraten, wo das sein könnte. Die Dinge müssen ja nicht unbedingt auf dem Betriebsgelände des Freilichtkinos verbleiben. Der große Vorteil ist, dass eine Person eine solche Säule ohne große Probleme transportieren kann. Daher kann man sie auch schnell sicher verstauen können.«

»Kommen wir nun zu dem für unsere Hörer sicherlich interessantesten Punkt: Wie wollen Sie das ganze Kino finanzieren?«

»Einfache Antwort: So wie immer. ›Immer‹ heißt hier, dass wir die Investitionssumme kalkuliert haben. Diese besteht aus den Blöcken ›Technik‹, ›Zuschauerraum‹, ›Infrastruktur‘ und ›Bewirtung‹. Die notwendigen Investitionen sind eine Mischung aus (bescheidenen) Mitteln der Stadt, Fördergeldern und einem Crowdfunding-Projekt. Dadurch konnten wir die notwendige Finanzierung sicherstellen.«

»Geht es noch etwas konkreter?«

»Ja, aber das ist hier nicht der richtige Anlass. Schließlich geht es um die Finanzen einer Kleinstadt. Die Hauptsache ist doch, dass die Bürger wissen, was auf sie zukommt und das ausreichend Geld vorhanden ist, der Stadt nach den Hansa-Lichtspielen nach mehr als vierzig Jahren wieder zu einem Kino zu verhelfen.«

»Welches aber nur im Sommer bespielt wird. »Was sollen die Leute denn im Winter machen?«

»Lösen wir erst das eine Problem, dann können wir die anderen lösen. Also: eines nach dem anderen. Beispielsweise können sie in das ›Café Größenwahn‹ gehen, einem der nächsten Nachbarn des Kinos.«

»Gute Überleitung, da wollte ich auch noch drauf eingehen. Gibt es nicht Probleme, wenn neben dem bekanntesten Café der Stadt ein Kino errichtet wird?«

»Noch einmal: Wir sprechen hier nur von den Sommermonaten und aller Voraussicht nach auch nur von den Wochenenden. Sicher werden sich die Leute vorher im Größenwahn treffen oder dort nachher noch ein Bier trinken gehen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass man zusammenarbeitet und eine Art Kombi-Veranstaltung anbietet. Zuerst bekommt man als ›Kino-Dinner‹ die berühmte Gulaschsuppe des Größenwahns serviert, bevor man dann gemütlich rüber ins Kino geht.«

»Halten Sie so eine Zusammenarbeit für realistisch?«

»Ohne weiteren Gesprächen vorgreifen zu wollen: Ja, es gibt bereits derartige Überlegungen und auch schon erste Gedanken für so eine Kooperation.«

»Die sanitären Anlagen des ›Größenwahns‹ zu nutzen, steht jedoch nicht zur Debatte, oder?«

»Nein. Sehen Sie mal, es handelt sich doch um ein altes Schwimmbad, das neben Umkleidekabinen natürlich auch über sanitäre Anlagen verfügt. Gut, natürlich brauchen wir keine Duschen, jedoch vielleicht Künstlergarderoben. Und ja, das stimmt, muss natürlich alles von Grund auf restauriert werden.«

»So, die Sendezeit neigt sich langsam dem Ende zu. Meine letzte Frage richtet sich daher auf das Programm. Was für Filme möchten Sie zeigen?«

»Die Auswahl liegt natürlich nicht in meiner Hand. Doch wenn ich mir etwas wünschen dürfte für den ersten zu zeigenden Film, so wäre das der Film ›Cinema Paradiso‹ aus dem Jahr 1988, geschrieben und gedreht von Giuseppe Tornatore. Meine Frau hat übrigens schon verlauten lassen, dass sie gerne ›Grüne Tomaten‹ Open Air sehen würde. Aber warum nicht eine Komplettausstrahlung von ›Ein Winter, der ein Sommer‹ war an sechs aufeinander folgenden Terminen? Der Film wurde schließlich zum Teil in der Stadt gedreht und die Leute erzählen noch heute davon. Oder Stummfilme mit Live-Musikbegleitung, beispielsweise am Klavier? Vielleicht sogar ein ganzes Stummfilmfestival? Die Möglichkeiten sind da unbeschränkt, man muss sich nur engagieren.«

»Ein Stummfilmfestival in Bad Karlshafen, so ginge der Ort gleichzeitig mit einem Schritt in die Zukunft als auch in die Vergangenheit. Ein schönes Schlusswort. Herr Müller, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen bei der Verwirklichung dieses Projekts viel Erfolg.«

»Ich danke Ihnen.«

– Ende –


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