Steht man vor diesem wundervollen Portal aus dem Jahr 1892, so kann man sich zunächst gar nicht mehr darin erinnern, dass man früher quasi täglich durch diese alte Tür gegangen ist. Wir stehen vor dem alten Postamt, in dem sich heute ein privates Wohnhaus befindet. Früher war es – gemeinsam mit dem alten Bahnhof – quasi das Kommunikationszentrum der Stadt. Für das Gebäude musste übrigens der alte Friedhof weichen, der sich an dieser Stelle bergan befand.
Heute unterhält die Deutsche Post AG – oder wie sie damals noch hieß ‚Deutsche Bundespost‘ immer weniger richtige Postämter. So ist es auch in Bad Karlshafen. Nach dem Wechsel in das Gebäude ‚An der Schlagd‘ wurde es eine ‚Postagentur‘, die zunächst im Einkaufszentrum auf der rechten Weserseite beheimatet war, bevor sie ihren jetzigen Standort, das Buch und Schreibwarengeschäft Meinhardt in der Weserstraße, bezog. Können Sie sich noch einen Briefträger erinnern, der jeden Berg hinauf und zu Fuß von Haus zu Haus ging? Oder das erste Telegramm?
Genau darum soll es heute gehen, wir unternehmen eine kleine Zeitreise in die Siebziger Jahre. Die Epoche, wo noch der immer freundliche Herr Heeger dem städtischen Postamt vorgestanden hat. Kommen Sie jetzt in Gedanken mit mir durch die schwere Eingangstür, so stehen Sie plötzlich wieder in der hohen Vorhalle mit der steinernen Treppe und dem Fenster auf der rechten Seite. Dort, etwas weiter oben, in der Ecke, befand sich die Telefonzelle, an der Wand links war die Tür, die in die Schalterhalle führte.
Na, kommen die Erinnerungen langsam zurück?
Fremdkörper Telefonzelle
Für mich, dessen Elternhaus erst spät einen eigenen Telefonanschluss bekam, war die Telefonzelle im Postamt ‚Mund und Ohr zur Welt‘. Hatte sich beispielsweise Besuch angekündigt, so hat mich meine Mutter zur Verabredung der genauen Modalitäten immer zum Telefonieren in das Postamt geschickt. So oblag es mir schon in jungen Jahren, diese Kommunikation nach außen zu übernehmen. Ich weiß noch wie heute, dass das Telefonieren damals für mich immer etwas besonderes war. Die dunkle Zelle mit dem trüben Licht an der Decke, der schwere schwarze Telefonautomat aus Bakelit und die Angst, ob die mitgebrachten Groschen für das Gespräch ausreichen würden. Eine Einheit kostete damals noch zehn Pfennige, immer schaute ich mir die von meiner Mutti mitgegebenen Münzen an, ob nicht ein Exemplar aus dem Jahre 1949 mit der Prägung ‚Bank Deutscher Länder‘ mit dabei war. Dieses ist dann sogleich in meiner Hosentasche verschwunden und landete später in meiner Münzsammlung – sie besitze ich noch heute. Im Postamt selber war auch noch mindestens eine Telefonzelle, in der man angemeldete Gespräche führen konnte. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, heute gibt es eine ‚Europa-Flat‘, die erstaunlicherweise den Europabegriff soweit fasst, dass auch noch die ehemaligen Kolonien Vereinigte Staaten von Amerika und Kanada dazugehören. Und wer kennt heute noch die ‚Hotline‘ für die Toto-Ergebnisse (01165, meine ich mich zu erinnern), über die man kostenfrei die aktuellen Fußballergebnisse erfahren konnte?
Die Schalterhalle
Um in die große Schalterhalle zu kommen, musste man von der Vorhalle aus linkerhand durch eine Tür. Direkt gegenüber waren die Schalter, wo beispielsweise der gewissenhafte und nette Herr Heeger seinen Dienst versah. Links in Richtung Fenster standen zwei Tische mit runden Hockern, an denen man seine Postgeschäfte vorbereiten konnte: Das Auszahlungsformular für das Postsparbuch ausfüllen („Verdammt, habe ich die Ausweiskarte jetzt eingesteckt?“), die Eintragungen auf dem Postscheck vornehmen oder seine 23 Weihnachtsbriefe mit Hilfe des am Tisch befindlichen Briefmarkenanfeuchters frankieren – um sie anschließend direkt am Schalter abzugeben (was letztlich keinen zeitlichen Vorteil brachte) oder außerhalb des Postamtes in den Briefkasten zu werfen. Auch kann ich mich an den Fußboden in der Schalterhalle erinnern, er war aus Stein – jedoch keine Platten, sondern irgendwelche Mosaike.
Sondermarke gesucht – von gezahnten und nicht gerahmten kleinen Kunstwerken
In einem Rahmen an der Wand waren damals auch die aktuellen Jagdtrophäen für alle Philatelisten abgebildet: Da gab es Ersttagsbriefe, etliche Sondermarken sowie die nett anzuschauenden Briefmarkenblöcke. Hatte man seine Wünsche mit dem vorhandenen Taschengeld abgeglichen, konnte man anschließend am Schalter tätig werden: Heute sollten es die noch fehlenden Marken der Heinemann-Serien sein. Welcher Veteran aus dieser Zeit erinnert sich nicht noch an die Serie ‚Technik- und Industrie‘, deren Markenumfang von Werten von fünf Pfennig bis 200 Pfennig reichten. In meinen Augen ein bunter Schwall Erinnerungen. Man gab, so man es denn wollte, sein Taschengeld für die beliebten Marken zur Fußballweltmeisterschaft 1974 aus (eine grüne und eine rote) oder investierte auch schon mal eine vergleichsweise größere Summe in den Erwerb eines ungestempelten Briefmarkenblocks, ohne in diesem Alter so genau zu wissen, was ‚Jugendstil‘ eigentlich ist. Hauptsache, das Motiv war schön. Vielleicht wollte man aber auch nur den Brief an Tante Trudchen mit einer Sonderbriefmarke zum 30-jährigen Bestehen des Grundgesetzes versehen. Heute liegen die Briefmarkenalben tief vergraben in einem Schrank. Vielleicht sollte man doch noch einmal in die früher sorgsam gepflegten Alben hineinschauen und sich an die schönen Nachmittage von damals erinnern?
1 Million DM Belohnung! – Die Steckbriefe der anarchistischen Gewalttäter und Terroristen
Können Sie sich noch an die fiesen Gesichter auf den Steckbriefen erinnern? Das Postamt als Außenstelle einer Bundesbehörde war ja verpflichtet, sie gut sichtbar in ihren Diensträumen aufzuhängen. Es war die Zeit der Baader-Meinhof-Bande, später der Rote Armee Fraktion. Mich haben diese Steckbriefe immer etwas beängstigt. Männer und Frauen, die per Rasterfahndung gesucht wurden und vor allem im ‚Deutschen Herbst‘ 1977 ständig in den Medien und im täglichen Leben präsent waren. Aber auch schon davor. Machte man damals einen Waldspaziergang, so war es immer sehr verdächtig, wenn mitten im Wald ein PKW an einem vorbeifuhr – am helllichten Tag! Die Autos der Bayerischen Motoren Werke (BMW) bekamen in dieser Zeit den Spitznamen ‚Baader-Meinhof-Wagen‘, da die Terroristen sie gerne nach ihren Banküberfällen zur Flucht benutzten. Sah man also so einen Wagen im Wald entlangfahren, dachte man sofort an die Steckbriefe im hiesigen Postamt – zumindest mir ging das oft so.
Und später?
Das erste Telefon übrigens, das wir 1980 bekamen – grün und mit Wählscheibe – steht noch heute auf meinem Schreibtisch – leider funktioniert es in Zeiten digitaler Telefonie nicht mehr. Doch jedes Mal, wenn ich es betrachte und einmal den Hörer abnehme, kommen schöne Erinnerungen zurück – aber das ist eine andere Geschichte.
Quellen und Anregungen zum Weiterlesen
Bohn, Robert (2000): 1699-1999 Karlshafen – Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Hessischen Planstadt aus der Barockzeit, Reihe ‚Beiträge zur Geschichte der Stadt Karlshafen und des Weser-Diemel-Gebiets‘, Band 11, Verlag des Antiquariats Bernhard Schäfer, Bad Karlshafen.