Renaissance einer Hafenstadt

Die Zeiten haben sich verändert, wir leben nun in einer Epoche, in der man spürt, wie der Wind der Veränderung durch die Schlemmerschleuse weht. Im 320en Jahr seiner Geschichte wurde Bad Karlshafens historischer Hafen wieder an den Weserstrom angeschlossen. Doch bevor sich am 11. Mai 2019 die Schleusen öffneten und die ersten Boote zu ihren Liegeplätzen gelangen konnten, hier eine „Hafengeschichte“, die aufzeigt, welches Auf und Ab der von Landgraf Carl beauftragte Hafen eigentlich erlebt hat.

 

Bis 1699: Die Vorgeschichte

Der Westfälische Friede von 1648 nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges führte dazu, dass viele deutsche Fürstentümer ihre Souveränität erhielten. Das Kurfürstentum Braunschweig-Lüne­burg, auch Kurfürstentum Hannover genannt, war ab 1692 das 9. Kurfürstentum des Heiligen Rö­mischen Reiches. Die Kleinstaaterei, die erst 1871 beziehungsweise durch die Abschaffung der Adelstitel nach 1918 abgeschafft wurde, führte dazu, dass sich die Kleinstaaten ihre Grenzen gut bewachten und sehr auf ihren Vorteil bestimmt waren. Das führte dazu, dass Waren nicht von Cassel zur Weser befördert werden konnten – dazwischen lag ja das hannoverische Münden. Daher kam Landgraf Carl auf die Idee, einen Kanal von Carlshafen nach Cassel zu bauen. Letztlich sollte dieser Kanal über Cassel hinaus die Weser und den Rhein miteinander verbinden.

Das Problem war also, dass Münden erstens das Stapelrecht besaß, dass es der Stadt erlaubte, alle Waren vor einem Weitertransport drei Tage zum Verkauf anzubieten. Darüber hinaus besaß die Stadt das Recht, dass alle von Münden stromauf- oder stromabwärts gehenden Frachten nur durch Mün­dener Schiffe befördert werden durften.

 

1713 – 1730: Die Baugeschichte

Das Hafenareal vor der Schaffung des zunächst nicht befestigten Hafenbeckens nannte man damals noch „Markt“, die Stadt hieß zunächst auch noch Sieburg. Über die Anfänge der Bauarbeiten am Hafenbecken herrscht Uneinigkeit: Einerseits sollen sie im Jahr 1705 begonnen haben, als Stadtbaumeister Conradi damals ein circa 15.000 Quadratmeter großes Wasserbauwerk schuf. An anderer Stelle wird das Jahr 1713 als das eigentliche Geburtsjahr des Hafens bezeichnet. In diesem Jahr wurde der Hafen angelegt und der Kanal zum Mühlengraben ausgegraben. Bauherr soll ebenfalls der Casseler Baumeister Conradi gewesen sein. Letzteres macht meiner Ansicht nach mehr Sinn, da die ältesten Pläne für den Kanalbau aus den Jahren 1710 und 1713 stammen und ein Hafen ohne verbindende Kanalanschlüsse wenig Sinn macht. Im Zuge der zukünftigen Bewirtschaftung erfolgte am 8. Juli 1715 die Grundsteinlegung für das Packhaus, das heutige Rathaus.

Weitere wichtige Elemente in der Peripherie des Hafens waren die notwendigen Schleusen, um die innerörtlichen Kanäle mit Diemel und Weser zu verbinden. Dazu wurde am 10. Oktober 1715 das Fundament für die (Kammer)Schleuse ge­legt. Bauherr war die holländische Schleusenbaumeister Metzma. Die Fertigstellung der Schleuse zur Weser erfolgte 1716. Am 7. Dezember wurde die Schleuse das erste Mal befahren. Die Fallhöhe der Schleuse wird mit 7-8 Fuß angegeben, ein Fuß entsprach je nach Land meist 28 bis 32 Zentimeter. 1717 war der Kanal war bis etwa Stammen befahrbar. Der Landgraf hat am 2. November die Wasserstraße höchstpersönlich eingeweiht. In den kommende Jahren gab es mehr oder weniger regelmäßige Marktschifffahrt auf dem Kanal. Nach Carls Tod 1730 enden auch die Arbeiten am Kanal.

Die erste Brücke über den Kanal hin zur Weser war alten Stichen zur Folge übrigens eine Zugbrücke.

 

1765-1848: Der Zustand des Hafens als Spiegel der wirtschaftlichen Situation der Stadt

In den kommenden Jahren war der Hafen ein getreues Spiegelbild des wirtschaftlichen Auf und Abs der Stadt. Eine Blütezeit erlebte der Hafen nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763), als ein größerer Warenumschlag stattfand. Eingeführt wurde verschiedene Produkte vor allem aus Bremen, den Weg über die Weser fanden vor allem Textilprodukte wie Leinen. In dieser Zeit wurde das Hafenbecken erneut ausgehoben und entschlammt. 1778 wurde der Hafen erstmals mit festen Mauern befestigt.

Der anschließende wirtschaftliche Niedergang hatte vor allem mit den Napoleonischen Kriegen zu tun, in der deren Folge er nahezu komplett verschlammte und versandete. Vom stolzen Wasserbecken blieb ein kleines Rinnsaal übrig, dass sich durch den inzwischen als Schuttabladeplatz missbrauchten Hafen schlängelte.

Bereits 1820 kamen einige Bürger auf den Gedanken, dass der Wohlstand der Stadt bisher immer auch mit einem funktionsfähigen Hafen einhergingen. Erst 20 Jahre später, 1840, begannen die Umsetzung dieser Überlegungen. Im Sommer 1844 wurde mit der erneuten Entschlammung begonnen und sowohl die Umfassungsmauern als auch die Schleusen erneuert. Am 14. November 1848 wurde der renovierte Hafen eingeweiht, ein Frachtschiff aus Bodenwerder war das erste, das in den Hafen einlief.

Mit der Einweihung der Carlsbahn und der mit ihr einhergehenden Weiterführung zur Weser hat der Hafen seine Funktion als Warenumschlagsplatz endgültig eingebüßt. Fortan wurde er für beschränkten lokalen Handel beziehungsweise als Winterlager für Frachtkahne genutzt. Immerhin gab es mit der „Hafenbahn“ eine direkte Verbindung zwischen der Carlsbahn und der Weser zwecks Frachttransport.

 

1929/1930: Das vorläufige Ende der Schiffbarkeit

Die wirtschaftliche Notwendigkeit, einen Umschlaghafen in der Stadt vorzuhalten, wurde mit den Jahren nicht größer. Der zunehmende Automobilverkehr brachte die alte Drehbrücke über den Schleusenkanal an ihre Grenzen. Das betraf sowohl die Tragfähigkeit der Brücke als auch die Lärmbelastung beim Überfahren der Brücke. Die alte Drehbrücke wurde 1930 zu einer Eisenbetonbrücke umgebaut. Mit diesem Eingriff war der Kanal nicht mehr schiffbar und auch der Hafen verlor seine Funktion als Umschlag- und Lagerplatz. Erstmals seit 214 Jahren waren Hafen und Weser wieder irreversibel voneinander getrennt. Bereits ein Jahr zuvor wurden das Wiegehäuschen am Hafenplatz und der alte Kran vor dem Rathaus abgerissen. Die Hafenstadt als solche war zunächst Geschichte.

 

2019: Wiederanschluss des historischen Hafens an die Weser

Eine Abstimmung unter den Bürgern der Stadt gab 2016 grünes Licht für das bislang größte Bauprojekt der Stadt. Ende Dezember 2018 wurde nach achtzehnmonatiger Bauzeit der barocke Stadthafen in Rekordzeit mit einer neuen Schleuse versehen und wieder an die Weser angeschlossen. Am 11. Mai 2019 wurde der Hafen als Mittelpunkt der barocken Planstadt Bad Karlshafen mit einem feierlichen Festakt wieder eröffnet. Damit ist der Hafen erneut vom Wasser aus erreichbar und für die Besucher der Stadt neu erlebbar. Nur, dass diesmal anders als vor 300 Jahren nicht Frachtschiffe, sondern kleinere Yachten, Sportboote und Kanus in den Hafen einschleusen.

 

Quellen und zum Weiterlesen

Bohn, Robert (2000): 1699-1999 Karlshafen – Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Hessischen Planstadt aus der Barockzeit, Reihe ‚Beiträge zur Geschichte der Stadt Karlshafen und des Weser-Diemel-Gebiets‘, Band 11, Verlag des Antiquariats Bernhard Schäfer, Bad Karlshafen.

Meinhardt, Anke (unter Mitarbeit von Brich, Hermann): Geschichte der Stadt Bad Karlshafen und der Kulturstätten der näheren Umgebung, kein Jahr, Nordlanddruck GmbH, Lüneburg. 

Zeitreise: 1704 – Bau des Invalidenhauses

1704 gelingt König August II. (August der Starke) mit der Unterstützung von russischen Truppen die Einnahme von Warschau. Der sächsische Kurfürst lässt alle Häuser der Anhänger von Herrscher Stanislaus plündern und niederbrennen. Im gleichen Jahr wird Gibraltar wird von den Briten erobert. Und am 20. September wird Barbara Dietrich in Ingolstadt Opfer der Hexenverfolgung. Ein ereignisreiches Jahr.

Die Geschichte des „Hôtel des Invalides‟ begann im Jahr 1704. Der Bau dieses Gebäudes ging auf den Entschluss des Landgrafen Carl zurück „seinen im Feld der Ehre grau gewordenen und verwundeten Kriegern angemessene Pflege und hinlänglichen Unterhalt zu geben‟. In den Genuss dieser Einrichtung sollten sowohl Offiziere als auch Mannschaften kommen. Wie im Modell im Rathaus zu sehen ist, waren sogar zwei solcher Gebäude geplant – eine Planstadt wie Sieburg erforderte strenge Symmetrie. Das Vorhaben wurde jedoch aus Kostengründen aufgegeben.

Architektur

Das Invalidenhaus ist eine dreigeschossige Vierflügelanlage um einen rechteckigen Hof. Der Mittelteil des Hauptbaus mit dem Portal ist mit vier Pilastern gegliedert. Bekrönt wird er mit einem Tympanon mit dem Wappen der Landgrafschaft Hessen-Kassel. Aus dem Satteldach erhebt dort ein achtseitiger schiefergedeckter Dachreiter.

Bau und Nutzung

Am 15. März 1704 begann der Bau des Invalidenhauses, Baumeister war Friedrich Conradi. Die Errichtung erfolgte in vier Etappen: Zunächst wurde 1704 der Nordwestflügel auf der heutigen Kanalseite errichtet. 1705 folgte der Flügel mit der Kapelle auf der Straßenseite. 1706 wurde der Flügel auf der Diemel- und Kuhbergseite errichtet. Seinen Abschluss fand der Bau mit der Vollenendung des südöstlichen Flügels (Schulseite). Im Invalidenhaus befindet sich eine Kapelle, die 1708 durch den reformierten Garnisionsprediger Johann Bitter eingeweiht wurde. 1710 waren alle Arbeiten abgeschlossen und das „Hôtel des Invalides‟ konnte bezogen werden. Man geht von einer ersten Belegungsstärke von 80 Mann aus.

Während der französichen Besatzung hebt König Jerome 1806 die Funktion des Invalidenhauses auf – es erfolgen die ersten Vermietungen an Privatpersonen. Noch heute ist das Invalidenhaus ein Wohnhaus.

Die Kapelle des Invalidenhauses

Die Invalidenhauskapelle war dann auch die erste Kirche der Stadt. Sie bot bis zu 200 Gläubigen Platz, auch heute noch. Die ersten Kirchengemeinden waren die französisch-reformierte und die deutsch-reformierte Kirchengemeinde, 1713 kam eine deutsch-lutherische Gemeinde hinzu. Alle Versuche, eigene Gotteshäuser zu errichten, scheiterten vor allem an einem, dem Geld. Im 19. Jahrhundert gab es weitere Kirchenbauversuche, 1825 kam es zum Zusammenschluss der französisch-reformierten und der deutsch-reformierten Kirchengemeinde – in diesem Jahr fand auch der letzte Gottesdienst in französischer Sprache statt. 1929 schlossen sich schließlich die reformierte und die lutherische Gemeinde zur evangelischen Kirchengemeinde zusammen.

Endlich, im Jahr 1962 wurde eine eigenständige evangelische Kirche am Rand des Hafenbeckens errichtet – an der Stelle, an der früher die alte Oberförsterei gestanden hat.

Die Kapelle im Invalidenhaus wird heute von der neuapostolischen Gemeinde genutzt.

Anmerkung

Nach der Lektüre dieses Blogbeitrags ist Ihnen sicherlich der Fehler auf dem 75-Pfennig-Notgeld-Schein aus dem Jahr 1922 aufgefallen? Richtig, das dort genannte Jahr 1706 ist falsch. Aber in diesen schrecklichen Inflationszeiten hatte man andere Probleme als das richtige Baujahr eines Gebäudes auf einem Geldschein.

Quellen und zum Weiterlesen

Bohn, Robert (2000): 1699-1999 Karlshafen – Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Hessischen Planstadt aus der Barockzeit, Reihe ‚Beiträge zur Geschichte der Stadt Karlshafen und des Weser-Diemel-Gebiets‘, Band 11, Verlag des Antiquariats Bernhard Schäfer, Bad Karlshafen.

Kasseler Sparkasse (Hrsg., 1999) Landgraf Karl und die Gründung von Karlshafen 1699-1999, Verlag Weber & Weidemeyer, Kassel.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Invalidenhaus_(Bad_Karlshafen)

Fotos:
Invalidenhaus: Von Jan Stubenitzky (Dehio) – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0
Geldschein: Scanned from original by Link

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