Die Chronik von Carls Canal – Große Idee oder Größenwahn?

1713 begann ein Projekt, das noch heute die Geschicke von Bad Karlshafen bestimmt: In diesem Jahr wurde begonnen, auf dem früher als „Markt“ bezeichneten Areal ein Hafenbecken als Beginn eines Kanalprojekts anzulegen, dass die beiden mächtigen Ströme Weser und Rhein miteinander verbinden sollte. Carl, Landgraf zu Hessen-Cassel, ein Visionär seiner Zeit, wollte zunächst die Schiffsverbindung vom damaligen Sieburg nach Cassel schaffen, um das zwischen beiden Ortschaften liegende hannoverische Münden zu umgehen.

Aus dem ambitionierten Plan, Weser und Rhein miteinander zu verbinden, ist ein circa 25 Kilometer langer Kanal entstanden, der selbst nur wenige Jahre genutzt wurde. 17 Jahre „lebte“ das Projekt und noch immer sind Zeugnisse von „Carls Canal“ zu finden.

Diese Chronik basiert auf einer Vortragsführung im Zusammenhang mit der Pflanzenbörse des Bürgervereins Karlshafen-Helmarshausen e. V. am 24. März 2018. Ein gescheitertes, dennoch jedoch spannendes Stück Technikgeschichte direkt vor unserer Haustür, dass es sich zu erkunden lohnt.

Geschichtlicher Hintergrund

Der Westfälische Friede von 1648 nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges führte dazu, dass viele deutsche Fürstentümer ihre Souveränität erhielten. Das Kurfürstentum Braunschweig-Lüne­burg, auch Kurfürstentum Hannover genannt, war ab 1692 das 9. Kurfürstentum des Heiligen Rö­mischen Reiches. Die Kleinstaaterei, die erst 1871 beziehungsweise durch die Abschaffung der Adelstitel nach 1918 abgeschafft wurde, führte dazu, dass sich die Kleinstaaten ihre Grenzen gut bewachten und sehr auf ihren Vorteil bestimmt waren. Das führte dazu, dass Waren nicht von Cassel zur Weser befördert werden konnten – dazwischen lag ja das hannoverische Münden. Daher kam Landgraf Carl auf die Idee, einen Kanal von Carlshafen nach Cassel zu bauen. Letztlich sollte der Kanal über Cassel hinaus die Weser und den Rhein miteinander verbinden.

Das Problem war also, dass Münden erstens das Stapelrecht besaß, dass es der Stadt erlaubte, alle Waren vor einem Weitertransport drei Tage zum Verkauf anzubieten. Darüber hinaus besaß die Stadt das Recht, dass alle von Münden stromauf- oder stromabwärts gehenden Frachten nur durch Mün­dener Schiffe befördert werden durften.

Die Alternativen:

1) Lasttransporte per Karren – Problem: Fassungsvermögen von nur 2-3 Tonnen bei Einsatz von zwei Pferden oder Ochsen – im Vergleich zu circa 6 Tonnen eines Diemelschiffs.

2) Eisenbahn – Problem: 1710 noch nicht vorhanden.

Fazit: Eigentlich war der Kanal für damalige Zeiten eine gute Idee. Es ist jedoch nicht klar, ob der Landgraf selbst auf diese Idee kam oder man sie ihm zugetragen hat und er sie begeistert aufgenommen hat.

Chronik

1654 – Carl von Hessen wird am 3. August in Cassel geboren.

Bau und Betrieb

1710 /1713 – Die ältesten Pläne für den Kanalbau stammen aus den Jahren 1710 und 1713. Sie waren noch nicht vorhanden, als damit begonnen wurde, die Stadt zu bauen. Carlshafen wurde also nicht vermutlich nicht gegründet, um den Kanal zu errichten. Leiter des Kanalbaus war Oberstleutnant Burkhard Christoph von Münnich.

1699 – Man befindet sich auf dem „Markt“, so hieß das Hafenareal vor der Schaffung des zunächst nicht befestigten Hafenbeckens. Die Stadt hieß zunächst noch Sieburg.

1704 – In diesem Jahr wurde damit begonnen, den Mühlgraben auszuheben. Er wurde benötigt für die das herrschaftliche Mühlengebäude, dass 1710 fertiggestellt wurde. Diese Mühle war mit drei unterschiedlichen Mahlwerken, einem Schlaggang und einem Schneidgang versehen. Weitere De­tails zur Mühle sind mir leider nicht bekannt.

Warum ein Hafenbecken und der Obere Kanal und kein Kanal durch die Diemelmündung? Das Mühlenwehr des bereits existierenden Mühlgrabens wäre erstens ein zusätzliches Hinder­nis gewesen und hätte zweitens den Betrieb der Mühle verhindert. Daher der Weg durch den Hafen. Ein großer Vorteil war natürlich die Infrastruktur vor dem Packhaus und die Lie­gemöglichkeiten der Kähne im Hafenbecken.

1713 – Das Geburtsjahr des Hafens ist das Jahr 1713. In diesem Jahr wurde der Hafen angelegt und der Kanal zum Mühlengraben ausgegraben. Bauherr war der Casseler Baumeister Conradi.

1715 – Grundsteinlegung für das Packhaus (8. Juli).

1715 – Am 10. Oktober wurde das Fundament für die (Kammer)Schleuse ge­legt. Bauherr war die holländische Schleusenbaumeister Metzma.

1716 – Fertigstellung der Schleuse zur Weser. Am 7. Dezember wurde die Schleuse das erste Mal befahren. Die Fallhöhe der Schleuse wird mit 7-8 Fuß angegeben. Ein Fuß entsprach je nach Land meist 28 bis 32 Zentimeter.

1717 – Der Kanal war bis etwas Stammen befahrbar. Nachdem die Befahrbarkeit der Diemel bis Stammen gegeben war, hat der Landgraf höchst­persönlich am 2. November die Wasserstraße höchstpersönlich eingeweiht.

Auszug aus dem Kirchenbuch der reformierten Gemeinde:

„… haben Ihro Hochfürstliche Durchlaucht, unser gnädigster Fürst und Herr Carl mit ihrer hohen Person selbst den Anfang der Schifffahrt gemacht und Probe gethan, so er in die Weser zu Schiff ging, durch die Schlüße, Hafen und übrigen Schlüßen und Kanäle geschifft bis nach Stammen.“

1722 – Baubeginn des eigentlichen Kanals zwischen Stammen und Hümme.

1723-1727 – Mehr oder weniger regelmäßige Marktschifffahrt auf dem Kanal.

1729 – Fertigstellung der Weiterführung des Kanals bis nach Schöneberg.

1730 – Tod von Landgraf Carl, damit enden auch die Arbeiten am Kanal.

Spätzeit

1833 – Philipp Malzfeldt, der aus einer alten Müllerfamilie aus Hedemünden (bei Hann. Münden) stammte, kauft die Mühle in Bad Karlshafen.

1843 – Einbau der ersten Turbine

1905 – Die ältere Turbine wird durch eine neue Francis-Turbine ersetzt und die Stromerzeugung aus Gleichstrom aufgenommen. Das Mühlengebäude und die Firmenhäuser, in denen Betriebsangehöri­ge wohnten, konnten so mit elektrischem Licht versorgt werden. Dies war ca. 20 Jahre früher als elektrischer Strom in der Stadt Bad Karlshafen zur Verfügung stand.

1917 – Installation einer zweite Turbine, um den steigenden Energiebedarf wegen des Produktions­anstieges der Mühle abzudecken.

2011 – Errichtung einer Fischaufstiegsanlage.

Heute – Versorgung von 400 Haushalten mit sauberer Energie aus Wasserkraft.

Wiederanschluss des historischen Hafens an die Weser

2016 Ein Bürgerentscheid spricht sich für die Hafenöffnung aus.

2017 Beginn der Arbeiten.

2018 Durchführung der Arbeiten.

2019 Eröffnung der Schleuse zwischen Weser und Hafen.

Kenndaten für den Kanalbetrieb

Der Landgraf-Carl-Kanal

    • Länge von Carlshafen nach Hümme: 21 Kilometer.
    • Nur zwei künstliche Wasserläufe: Der Mühlgraben in Karlshafen sowie ein Kanalaushub bei Stammen. Ansonsten alles im Flussbett der Diemel.
    • 6-7 Schleusen (Karlshafen (1), Helmarshausen (1 oder 2), Wülmersen, Trendelburg, Stammen und Hümme).
    • Eine Haspel (Wülmersen, Boote werden wegen der starken Diemelkrümmung ein Stück über Land gezogen).

Das verwendete Diemelschiff

    • Länge: circa 10-12 Meter.
    • Bordkantenbreite: 1,5 Meter.
    • Bodenbreite: 1,2 Meter.
    • Tiefgang: bis 0,6 Meter.
    • Tragfähigkeit: bis 6 Tonnen.

Was bleibt, was ist heute noch vom Landgraf-Carl-Kanal zu se­hen?

    • Hafen und Oberer Kanal in Bad Karlshafen,
    • der Mühlengraben in Bad Karlshafen,
    • die Seitenwand der Schleuse in Helmarshausen,
    • die komplett erhaltene Schleuse in Trendelburg und
    • der noch als Mulde gut erkennbare Torso des Kanals von Stammen nach Hümme.

Ausflugstipp

Der Eco Pfad Diemel wurde ab 2000 vom EcoMuseum Reinhardswald, einem virtuellen Museum, das die wechselseitige Beeinflussung von Natur und Mensch erfahrbar machen will, entlang des 1729 fertiggestellten Teilstücks des Landgraf-Carl-Kanals als Rad- und Wanderweg angelegt, teilweise auf der Trasse der ehemaligen Carlsbahn. Sechs von zwölf am Wegrand aufgestellte Informationstafeln informieren über Geschichte, Bedeutung und Relikte des Kanals (Wikipedia).

Mehr: Eco Pfad Diemel (Beschreibung und Flyerdownload), aufgerufen am 30. März 2018.

Weitere Informationen und zum Weiterlesen

Literatur

Bohn, Robert (2000): 1699-1999 Karlshafen – Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Hessischen Planstadt aus der Barockzeit, Reihe „Beiträge zur Geschichte der Stadt Karlshafen und des Weser-Diemel-Gebiets“, Band 11, Verlag des Antiquariats Bernhard Schäfer, Bad Karlshafen.

Kasseler Sparkasse (Auftraggeber, 1999): Landgraf Karl und die Gründung von Karlshafen 1699-1999, Veröffentlichung der Reihe „Die Region trifft sich – die Region erinnert sich“, Verlag Weber & Weidemeyer, Kassel.

Weblinks

Wikipedia:

Karl (Hessen), aufgerufen am 30. März 2018.

Landgraf-Carl-Kanal, aufgerufen am 30. März 2018.

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